Sexualisierte Übergriffe durch Jugendliche haben in den letzten Jahren stark zugenommen, dass stellt die Fachberatungsstelle Wildwasser Darmstadt e.V. fest. Der Verein mit Außenstelle in Bensheim unterstützt Opfer und Hilfesuchende zum Thema sexualisierte Gewalt. Um Bergsträsser Institutionen in dem Thema fit zu machen, fand am 07.02.2023 eine Schulung zum Thema in den Räumen des TSV Auerbach statt.
Der Bergsträsser „Arbeitskreis gegen sexualisierte Gewalt“, zu dem auch der TSV gehört, kommt regelmäßig zu einem Fachaustausch zusammen. Spezifischen Input gab es von den Referentinnen Mona vom Hofe und Susanne Falk von Wildwasser. Die Sozialpädagogin und Psychologin informierten über adäquates Wissen zum Thema Übergriffe durch Jugendliche, über mögliche Handlungsstrategien sowie sinnvolle Präventionsmaßnahmen: Weitere Inhalte waren Sexualität und Jugend, Rechtslage und Schutzaltersgrenzen, Formen der sexualisierten Gewalt durch Jugendliche, Risikofaktoren (u.a. sexualisierte Gewalt mittels digitaler Medien) sowie die Folgen sexualisierter Gewalt für die Betroffenen.
Übergriffe durch Jugendliche sind keine Seltenheit, das machen die Beratungszahlen von Wildwasser deutlich: Die Statistik des Vereins weist für 2022 im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von 50% der Taten aus, verübt durch männliche Jugendliche. Entsprechende Zahlen finden sich bereits in einer Studie der Uni Marburg (Speak!-Studie) aus dem Jahr 2017 wieder: Darin wurden 2.719 Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren befragt. Die Ergebnisse zeigten: 2/3 der Jugendlichen haben sexualisierte Gewalt mindestens einmal beobachtet. Körperliche sexualisierte Gewalt erlebten 41% im öffentlichen Raum, 44 % in einer anderen Wohnung/Party und 24 % in der Schule. Täter waren Fremde (35 %), der/die Freund*in (32 %), der/die Mitschüler*in (16%), der/die Bekannte (16 %) oder der/die Ex-Partner*in (12,9 %).
Die Taten fänden somit meist im sozialen Nahraum statt, so Wildwasser. Übergriffe geschehen zuhause, auf Partys, in der Schule oder auch im Verein und werden innerhalb der peer-Group, durch Freunde oder Geschwister verübt. Insbesondere Social Media mache es Tätern immer einfacher, ihre Opfer unter Druck zu setzen, berichteten die Referentinnen. Der Umgang mit Bildern ist hier ein sensibler Punkt. So werden von Tätern oft z.B. intime Fotos von Jugendlichen benutzt, um diese unter Druck zu setzen. Den Jugendlichen hingegen ist oft nicht bewusst was passieren kann, wenn sie ihren Freund*innen Nacktfotos von sich schicken.
Die Zahlen zeigen: Laut polizeilicher Kriminalstatistik aus 2021 gab es einen auffallenden Anstieg von 108 % bei der Verbreitung, dem Erwerb, Besitz oder Herstellung von sexualisierter Gewalt im Netz. Das bedeutet eine mehr als 10-fache Zunahme der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen durch Minderjährige seit 2018. Auch das Bundeskriminalamt schlägt Alarm: Immer häufiger teilen bereits Kinder und Jugendliche über ihr Smartphone kinder-und jugendpornografische Bilder. Ihnen und ihren Bezugspersonen ist die Strafbarkeit häufig nicht bewusst.
Was kann helfen? Wildwasser zeigt hierfür Wege auf: In Schulen und Vereinen oder anderen Organisationen in denen sexuelle Gewalt möglich sein könnte, sollten vorbeugende Maßnahmen im Arbeitsalltag der Einrichtung implementiert werden. Für sogenannte Schutzkonzepte sollte eine Risikoanalyse erstellt werden sowie Handlungsleitfäden, die aufzeigen, wie bei Verdacht sinnvoll zu reagieren ist. Wichtig hierfür sei, dass immer das gesamte Personal einer Einrichtung involviert ist. Denn Kinder und Jugendliche sind auf informierte Erwachsene angewiesen, die im Fall eines Verdachts auf sexualisierte Gewalt genau wissen, was zu tun ist. Bei Fragen hierzu unterstützt Wildwasser gerne diesen Prozess.
Richtig handeln stehe generell im Vordergrund einer guten Prävention, so hieß es. Wichtig ist vor allem, dass man ein Ohr für Opfer hat und Hilfe anbietet. Bei konkreten Missbrauchsfällen sollte man sich aber immer professionellen Rat holen oder die Abwicklung in die richtigen Hände legen. Wichtig ist auch, dass jeder weiß, wen er/sie ansprechen kann, wenn es ein Problem gibt. Beratungen für Betroffene bei Wildwasser können auch anonym erfolgen, sowohl telefonisch als auch persönlich und sind kostenlos.
Dem Bergsträsser Arbeitskreises gegen sexuellen Missbrauch gehören 27 Behörden und Institutionen an. Darunter Mitarbeiter*innen der Kreisverwaltung (u.a. des Jugendamtes), die Erziehungsberatungsstelle Bensheim, das Frauenhaus sowie Spezialist*innen der Polizei, der Darmstädter Hilfe e.V., Psycholog*innen der Vitos Klinik und weitere Beratungsstellen.
Wer im Verein ein Problem mit Gewalt hat, egal in welcher Form, kann sich an den Beauftragten für Gewaltprävention Bernd Lützkendorf wenden. Kontaktdaten auf der Homepage oder auf der letzten Seite links unten in der RWI.